Keine anstößigen Wörter!

von Michael Wolf

Heidelberg, 7. Mai 2017. Die Hoffnung heißt Braunschweig, Karlsruhe oder Heidelberg. Das Projekt der European Theatre Convention bot jungen Theaterschaffenden aus der Ukraine 2015 die Möglichkeit, an einem deutschen Stadttheater zu arbeiten. Arbeiten – das bedeutet nicht zuletzt: Mit Kunst auch Geld verdienen. Das ist in der Ukraine nicht selbstverständlich. Es gibt noch kaum Förderstrukturen für freie Theater. Die Teilnehmer des Projekts gründeten nach ihrer Rückkehr in die Ukraine die Gruppe "Post Residency Group" und erarbeiteten die Inszenierung: "End of imitation".

Der Abend handelt von ihren Erlebnissen im fremden Theaterland Deutschland. Ein Regisseur sagt: "Meine wichtigste Erfahrung im Rahmen des Aufenthalts war, akzeptiert zu werden, ob klug oder dumm, ob böse oder gut." Eine Dramaturgin hingegen fühlt sich allein gelassen an ihrem Gasttheater. Während die restlichen Teilnehmer an ihrer Produktion Premierenfotos schießen, muss sie den Zuschauern Getränke servieren. Eine Ausstatterin überwindet mühsam die Hürden der ukrainischen und europäischen Bürokratie und reagiert schließlich enttäuscht, als sie erfährt, welche Aufgaben als Assistentin auf sie warten.

Der Horrorsatz: "Ich will was mit Theater machen"

Die Erwartungen scheinen teils etwas zu hoch gewesen zu sein. Die Schilderungen des ukrainischen Theatersystems wirken allerdings weitaus bedrückender. Das Ensemble erzählt von willkürlichen Entscheidungen ihrer Ausbilder, unmotivierten Kollegen und autoritären Intendanten. Als es einem Regisseur endlich gelingt, ein Projekt finanzieren zu können, bekommt er drei Hiobsbotschaften: Sein Team darf er nicht selbst casten, eine Probebühne steht nicht zur Verfügung und "anstößige Wörter" dürfen in der Aufführung auch nicht fallen. Nicht unbedingt Strukturen, die sich junge Künstler wünschen. Und dann sitzt ja auch noch die Familie im Nacken: Die Großeltern verbrachten große Teile ihres Lebens im geordneten Sowjetstaat und haben wenig Verständnis für ein unstetes Künstlerleben ohne finanzielle Sicherung.

endofimitation 700Poetische Bilder für den Zustand eine jungen Generation © Oleksandr Dolovov, FlyCam Production

Mitunter scheint das Theaterland Ukraine gar nicht so fern zu liegen. Auch in Deutschland fürchten nicht wenige Familien den Satz: "Ich will was mit Theater machen." Die dokumentarische Arbeitsweise der Gruppe wirkt ebenfalls vertraut. Das vierköpfige Ensemble berichtet monologisch und in kurzen Dialogen von den eigenen Erfahrungen und denen der anderen Teammitglieder. Im Hintergrund Leinwände, auf denen in einer Szene das hinter der Bühne sitzende Ensemble live projiziert wird, während sie über Gefühle und aneinander vorbeireden: "Ich mache die gleichen Bewegungen wie jeder andere, aber ich schwitze stärker." So verhalte es sich auch mit Gedanken. Zu viele davon, führten zu Angst.

Im Superman-Kostüm

Der auf Interviews basierende Text von Dima Levytskyi und Yulila Gonchar findet poetische Bilder für den Zustand dieser jungen Generation von Künstlern. Regisseur Pavel Yurov lässt ihm viel Raum und beschränkt sich meist auf illustratives Beiwerk. Ein Schauspieler schildert im Superman-Kostüm wie er sein Geld mit Kinder-Events verdient, eine Schauspielerin kämmt einer anderen die Haare, die davon erzählt, warum man ein neues Leben am besten mit einer neuen Frisur beginnt. In diesen Szenen wirkt die Inszenierung etwas eindimensional. Sei's drum. Die Post Residency Group beweist, dass Projekte wie das der European Centre Convention Früchte tragen. Ohne die Förderung gäbe es diesen Abend nicht, der einen klaren und eindrücklichen Blick in das ukrainische Theatersystem bietet.

 

End of Imitation
Text: Dima Levytskyi, Yulia Gonchar
Regie: Pavel Yurov, Dramaturgie: Julia Gonchar, Kurator: Yuliia Fediv, Bühne und Kostüme: Yaroslawa Sydorenko und Alona Ovramenko.
Mit: Olga Popova, Daria Palagnyuk, Oleksandr Martynenko, Andrii Palatnyj
Dauer: 1 Stunde und 25 Minuten, keine Pause
www.etc-cte.org



Zur "Theaterlandschaft Ukraine" von Anastasia Magazowa