"Es gab Momente, da hab ich Schmalz gehasst"

nachtkritik.de: Nach "Am Beispiel der Butter" ist "Der Herzerlfresser" bereits Ihre zweite Inszenierung eines Textes von Ferdinand Schmalz. Was reizt Sie an seinen Stücken?

Alexander Wiegold: Schmalz entwirft mit seiner Sprache eine ganz eigenwillige, skurrile Welt, die ich äußerst spannend finde. Ich mag vor allem seine schrägen Figuren, die sich alle irgendwie an ihrer Sprache abarbeiten. Es gibt in seinen Stücken auch immer eine ausgeprägte philosophische Ebene, wo wirklich was verhandelt wird. Das ist ganz nach meinem Geschmack.

nachtkritik.de: Wo liegen die Schwierigkeiten, Ferdinand Schmalz' Kunstsprache zu inszenieren?
Wiegold Alexander Alexander Wiegold © Reinhard Werner

Alexander Wiegold: Ich denke, man darf diese Sprache nicht mit tausend Regieideen zukleistern. Das macht es für einen Regisseur nicht einfach, weil man sich selbst und auch die Schauspieler ständig züchtigen muss, nicht zu viel dazu zu erfinden. Die Sprache hat schon alles. Es gab Momente, da habe ich Schmalz dafür gehasst, denn ich hätte gern mehr gezaubert und erfunden, aber vieles ist an der Sprache einfach abgeprallt. Letztlich kann er das natürlich als Kompliment verbuchen!

nachtkritik.de: Hatten Sie vor oder während der Proben Kontakt zu Schmalz?

Alexander Wiegold: Ja, wir hatten sogar sehr viel Kontakt, es war eine schöne Zusammenarbeit. Ich hatte ihm nämlich vorgeschlagen, für die Wiener Aufführung ein paar Dinge zu ändern. Und Ferdinand war sich nicht zu schade, an seinem fertigen Stück nochmal weiterzuspinnen. Es ging mir vor allem um den zweiten Teil, wo der Herzerlfresser im Einkaufcenter auftaucht. Ich wollte, dass er da provokativer auftritt, gefährlicher ist. Und ich wollte einen stärkeren Schluss, der Herzerlfresser sollte nicht zufällig aus dem Weg geräumt werden. Ferdinand hat mir noch sehr gute zusätzliche Szenen und Texte geschrieben, ein Luxus!

nachtkritik.de: In Ihrer Inszenierung läuft ein paar Mal ein Hund über die Bühne. Auf der Theaterbühne sind Tiere immer noch unüblich. Wofür brauchten Sie den Hund?

Alexander Wiegold: Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mal Tiere einsetze, da gibt es ja die alte Dramaturgenweisheit: "Bloß keine Kinder und Tiere auf der Bühne!" Aber ich wollte den mythischen, märchenhaften Aspekt der Geschichte irgendwie in das Shoppingcenter eindringen zu lassen, mich interessierte der Kontrast dieser billigen Shopping-Welt mit archaischen Bildern. Es handelt sich ja nicht um irgendeinen Schoßhund, wir haben da einen Wolfshund. Der gehört natürlich zum Herzerlfresser, der ja auch ein starkes tierhaftes Element hat. Das ganze Stück liest sich für mich wie ein seltsamer Traum, entweder ist da Vollmond oder irgendwelche Dämpfe kommen aus dem Sumpf hoch, alle Figuren sind so aufgescheucht und geistern nachts auf der Baustelle des Shopping-Centers herum und alle suchen irgendwas. Da war es für mich nur folgerichtig, dass zwischendurch plötzlich ein großer Hund durch die Girlanden schaut, und kein Mensch weiß, wo der herkommt und was der da soll.

nachtkritik.de: Das Stück lehnt sich an die Geschichte des Serienmörders Paul Reiniger an, der Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Frauen tötete. Haben Sie zu den Hintergründen recherchiert?

Alexander WiegoldJa sehr ausführlich sogar! Der originale Herzerlfresser ist aber weit weniger spannend als Ferdinands Stück. Das war ein ziemlich tumber Idiot, der hatte keine irre Philosophie à la Hannibal Lecter, sein Treiben taugt höchstens für Schauermärchen am nächtlichen Lagerfeuer. Ferdinand hat das zum Glück nur als Folie benutzt für einen ganz eigenen Entwurf: ein "heillos Suchender", zerrissen von Begehren und dem Drang nach Liebe, der durch ein steriles Shoppingcenter irrt, und da wie ein Prediger eine radikale Daseinsform proklamiert. Eine sehr schöne Grundidee. Und mit Sebastian Wendelin hatte ich dafür eine ausgezeichnete Besetzung!

nachtkritik.de: Haben Sie die Leipziger Uraufführung des Stücks gesehen? Wenn ja: Hat diese Seherfahrung Ihre Arbeit beeinflusst?

Alexander Wiegold: Üblicherweise vermeide ich es, andere Inszenierungen einer anstehenden Arbeit zu schauen, um mir nicht die Phantasie zu verbauen. In dem Fall war es anders, ich hatte über die Leipziger Uraufführung vorsichtig nachgelesen und gemerkt, dass die einen sehr anderen Zugriff hat, als mir vorschwebte. Und dann war ich zufällig in der Nähe und sehr neugierig. Ich fühlte mich danach in meinem Ansatz bestätigt, die Figuren des Stückes beim Wort zu nehmen. Ich muss den Humor nicht mit Blödeleien noch hinzu erfinden, der steckt bereits in den Figuren und in der Sprache. Außerdem ist mir lieber, wenn der Witz aus der Verzweiflung erwächst.

nachtkritik.de: Im Vergleich zur Uraufführung nähern Sie sich dem Stück sehr viel reduzierter und räumen dem Text mehr Raum ein. Spielt so ein alter Kampfbegriff wie "Werktreue" für Sie eine Rolle?

Alexander Wiegold: Nicht grundsätzlich. Wenn es für mich gute Gründe gibt, einen Text völlig durchzuschütteln, dann mache ich das. Man muss sich aber grundsätzlich fragen: "Warum mache ich das Stück überhaupt?", d.h. ein gewisses Interesse an dem, was der Autor da schreibt, sollte schon da sein, sonst ist es sinnlos. Außerdem macht es einen Unterschied, ob ein Text schon hundertfach inszeniert wurde, z.B. Tschechow oder Shakespeare, oder ob das Stück gerade erst geschrieben wurde, da sollte man dem Text fairerweise eine Chance geben, bevor man Kleinholz veranstaltet. Neben dem Text gab es aber auch ein anderes Element, das meine Herangehensweise wesentlich beeinflusst hat: die sehr abstrakte Bühne von Katrin Brack. Da ist natürlich eine Reduktion schon vorgegeben. Die Schauspieler waren oft verzweifelt, weil sie sich in den Girlanden so verloren fühlten. Aber genau darum geht es in dem Stück und das macht den Entwurf natürlich genial, Katrin hatte es total auf den Punkt gebracht. Als sie mir das Modell zeigte, brauchte ich nicht einmal drei Sekunden, um zu sagen "Genau das ist es!"

Das Gespräch führte Michael Wolf.

 

 

Kommentare  

#1 Interview Der Herzerlfresser: getunte Kaufhausphantasie Unfairbutcordial 2017-05-04 12:42
Das ist eine total schöne Regie-Motivation! Weil die schlichte, grausame belegte Wirklichkeit des seriellen Mordens an Frauen nicht spannend genug ist, inszeniert man lieber die getunte und in die Kaufhausphantasie versetzte??? Weil die idiotisch existierende Wirklichkeit nur für Lagerfeuer-Grusel reicht und ein Drama über dieselbig heute ebenfalls mögliche Wirklichkeit, wenn auch gerade kein konkreter Fall-Idiot zur Hand ist, wenigstens für befriedigende Beschäftigung am Theater? - Geil!! - Absolut nix gegen Schmalz, den irgendwo-auch philosophisch-auf-einer-Ebene-Verhandler - (Stimmt ja, das Theater heute muss ja immer verhandeln- wie die Gerichte. Manchmal habe ich den Verdacht, dass es nur noch aus abgebrochene Jurastudenten besteht, die es satt hatten sich soviele Rechtsbestimungen merken zu müssen und deshalb lieber zum Theater gegangen sind-) Schmalz hat mit seiner Sprache das ernste Thema gerettet vor zu flachem Zugriff. Er hat also für die Betrachtung der Philosophie darin einen Mindeststandard gesetzt. Und zwar nur damit. Und Frau Brack scheint in diesem Fall mit ihrem Geist einmal mehr dem Autor die Ehre gerettet zu haben. Wenn der Text nur auf die Regie angewiesen gewesen wäre... wollen wir dem Regisseur aus dem Autorenlager fairerweise noch eine Chance geben, bevor wir ihn und seine Sprache mit Sprache zu Kleinholz verarbeiten, wir hörten/lasen allerdings das erste Mal von ihm, da sollte schon so ein Grundinteresse an ihm da sein...

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