Mitten ins Herz

von Simone Kaempf

Heidelberg, 5. Mai 2017. Körper lügen nicht. "Der Fuß weiß doch am ehesten, woher wir kommen und wohin wir gehen", sagt die Kosmetikerin Irene, die an den Zehen die Zukunft abliest wie andere anhand der Sterne. Der überforderte Bürgermeister spürt so einen Druck am Zeh, trägt er doch schwer an einem Bauprojekt und daran, dass er alles am Laufen hält. Und dem Polizei-Ermittler kribbelt es in den Fingern – ein Zeichen, dass er heute Nacht den Serienmörder fasst?

Willkommen in der schwarzhumorigen Welt des Dramatikers Ferdinand Schmalz. Voll mit skurrilen Figuren und doppelsinnigen Körper-Metaphern, mit Bonmots und so intelligenten wie liebenswerten Sätzen, für die längst eine wachsende Fangemeinde schwärmt. Großer Andrang auch beim Heidelberg-Gastspiel, wer keinen Platz bekommen hat, sitzt eben auf den großzügigen Treppen am Rand des Marguerre-Saals.

Die düstere Seite des Menschen

Schmalz' Dialoge sind schnell und funkelnd, verweisen auf die Unzulänglichkeit und Doppelnatur der Welt. Mit einfachen Wahrheiten wird man bei Schmalz nicht abgespeist. Eine schöne Dialog-Kostprobe ist vorne aufs Cover des Burgtheater-Programmhefts gedruckt: "Global gedacht ist das hier eine ziemlich große Katastrophe." "Und regional ists eine Sauerei."

Herzerlfresser1 700 Marcella Ruiz Cruz uGalgenhumorige Typen mit Hang zur Melancholie: "Der Herzerlfresser" von Ferdninand Schmalz
© Marcella Ruiz Cruz

Die Burgtheater-Größen Johann Adam Oest als kriselnder Bürgermeister und Merlin Sandmeyer als ehrgeiziger Gangsterer sprechen diese Sätze, mit letzten Resten Wiener Jargons, der weich auf der Zunge liegt und wie durch sie durchzufließen scheint. Der artifiziellen Sprache geben sie und die drei anderen Schauspieler eine Bühne, schaffen es, die melancholische Seite dahinter zu öffnen, die auf die düstere Seite des Menschen schaut.

Gewerbepark im Sumpf

Man weiß nicht immer genau, worauf Schmalz abzielt, sprachliche Details verschieben sich in übertragene Bedeutung. Die Katastrophe und Sauerei – damit ist die Frauenleiche gemeint, umgebracht vom Serienmörder, der seinen Opfern das Herz herausreißt und einen Sumpf aus Blut hinterlässt. Oder spricht man über das neue Einkaufszentrum, das vor der Eröffnung schon Risse zeigt? Auf echtem Sumpf ist der Gewerbepark am Rande der Stadt gebaut, der sich nun senkt unter der Last des Einkaufszentrums.

Alexander Wiegolds Inszenierung bewegt sich erzählerisch zwischen Krimi, Provinzposse und Melodram und setzt doch auf ein abstraktes Bühnenbild aus der Hand von Katrin Brack. Dicke Glitzerfäden hängen von der Decke, wie es für sie typisch ist. Mal wird Grillenzirpen eingespielt, dann dudelt Alleinunterhalter-Synthesizer-Klang der traurigen Art. Der Ton des Abends driftet immer mehr ins Melancholische ab. Das ist schon ziemlich überraschend an Wiegolds Inszenierung, und: Es funktioniert überraschend gut.

Ein Menschheitsdrama

Der Galgenhumor arbeitet dem Melodram zu, adelt hier keine Horror-Komödie wie etwa bei der Aufführung am Deutschen Theater Berlin vor anderthalb Jahren. Sondern zeigt Herz-Schmerz-Geplagte, deren Stimmung zur Eröffnungsparty des Einkaufszentrums auf den Tiefpunkt sinkt. Die Handlung spielt in der Inszenierung bald kaum noch eine Rolle. Das wortreich beschriebene Leiden der Herzen umso mehr. Und was als Komödie begann, wird am Ende berührend, wenn der serienmordende Herzerlfresser die Enge der Herzen beschreibt, die noch engere Sprache, das innere Wüten. Es ist ein Menschheitsdrama, und dieser Abend mit seiner glitzernden Künstlichkeit: ein Volltreffer mitten ins Herz.



Der Herzerlfresser
von Ferdinand Schmalz
nominiert für den NachSpielPreis
Regie: Alexander Wiegold, Bühne: Katrin Brack, Kostüme: Lane Schäfer, Musik: Hannes Gwisdek, Chorarrangement: Bernhard Moshammer, Choreografie: Daniela Mühlbauer, Licht: Michael Hofer, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Peter Knaack, Johann Adam Oest, Merlin Sandmeyer, Irina Sulaver, Sebastian Wendelin sowie Marlene Grois, Philine Hofmann, Esther Leoni, Daria Lik, Ylva-Maj Rohsmann, Franziska Stadler.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Zum Gespräch mit Alexander Wiegold über seine Nachinszenierung

 

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