Männer, die nicht Opfer sein können

von Michael Wolf

Heidelberg, 1. Mai 2017. "Da war nichts", beteuert Jesko Drescher. "Und selbst wenn etwas war, dann war ich selbst dafür verantwortlich. Aber da war nichts", schiebt er sicherheitshalber nach. Anonym wurden ihm Kinderfotos aus seiner Zeit an einem katholischen Internet zugespielt. Sein früherer Lehrer hat ihn und andere Schüler nackt unter der Dusche fotografiert.

Thomas Melles Stück "Bilder von uns" beruht frei auf den Missbrauchsfällen am Bod Godesberger Aloisiuskolleg. Das Stück ist aber keine historische Aufarbeitung der Verbrechen. Melle geht es viel mehr um den Kippmoment im Leben der Betroffenen. Erst 2010 wurde der Skandal einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Generationen von Schülern wurden so gezwungen, sich ihren Biografien neu zu stellen. Was tun, wenn die eigene Kindheit zum Skandal wird?

Schatten an der Wand

Dreschers Jugendfreund Malte geht an die Öffentlichkeit und fordert Aufklärung. Ein anderer begeht Selbstmord. Drescher versucht den Fall herunterzuspielen und unterzeichnet sogar eine Solidaritätserklärung mit der Schule. Der erfolgreiche Manager will keine Schwäche zeigen. Gerade deswegen verliert er am Ende alles. "Ich habe keine Probleme mit Männern, die Opfer sind. Ich habe Probleme mit Männern, die keine Opfern sein können", erklärt seine Frau, kurz bevor sie ihn verlässt.

Bildervonuns1 700 Thilo BeuFotos gefährden hier Selbst- und Fremdbilder: Benjamin Grüter (Jesko), Holger Kraft (Johannes) und
Hajo Tuschy (Malte) in "Bilder von uns" © Thilo Beu


Die Inszenierung bleibt dem Titel des Stücks treu. Die Fotos gefährden scheinbar längst fertig entwickelte Selbst- und Fremdbilder. Schade, dass Alice Buddenberg dieses Motiv etwas fantasielos eins zu eins übersetzt. So lässt sie die Schauspieler mit Beamern anstrahlen, sodass sie riesige Schatten (der Vergangenheit) an die Wand schlagen. Die Idee leuchtet ein, lässt aber kein Licht aufgehen. Anstatt ihn herauszufordern, bedient Buddenberg den Text nur. Das Ensemble sitzt meist im Halbkreis auf hölzernen Klassenzimmerstühlen und starrt Benjamin Grüter an, der als Drescher die drohende Umwälzung seines Lebens aufzuhalten versucht. Dieses Setting illustriert das Thema anschaulich, wirkt aber auf Dauer statisch.

Zwischen Psychothriller und Thesenstück

Schade, denn das Stück beginnt wie ein Psychothriller. In der ersten Szene erhält Drescher das Foto und verursacht vor Schreck beinahe einen Unfall. So schnell und elegant lässt sich ein Leben aus der Bahn werfen – und ein Thema auf die Bühne. Im Mittelteil treten die Figuren dann aber vor allem als Vertreter einer passenden Reaktion auf die Vorfälle an der Schule auf. Sie tragen schwer an ihren Thesen und bringen die Handlung nur noch mühsam voran.

Schließlich erfährt Drescher, wer ihm die Bilder geschickt hat. Die Auflösung ist aber nicht nur erwartbar, sie wirkt auch pflichtschuldig. Als wäre dem Autor eingefallen, dass er ja auch noch eine Geschichte zu Ende erzählen muss.

Bilder von uns
von Thomas Melle
Uraufführungs-Gastspiel
Regie: Alice Buddeberg, Bühne: Cora Saller, Kostüme: Emilia Schmucker, Musik: Stefan Paul Goetsch, Licht: Lothar Krüger, Dramaturgie: Johanna Vater.
Mit: Benjamin Grüter, Hajo Tuschy, Holger Kraft, Benjamin Berger, Johanna Falckner, Mareike Hein und Lydia Stäubli.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.theater-bonn.de

 

Zur Nachtkritik der Uraufführung am Theater Bonn im Januar 2016


Benjamin Grüter (Jesko), Holger Kraft (Johannes), Hajo Tuschy (Malte)

Kommentare  

#1 Bilder von uns: Frauen und Männer, die...Problemkind 2017-05-02 07:49
Ich habe, glaube ich dank Melle jetzt endlich zu wissen, ein Problem mit Frauen, die ein Problem damit haben, dass sie ein Problem mit Männern, die keine Opfer sein können, haben m ü s s e n... war das jetzt zu kompliziert?

Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren