Let's talk about Sex

von Georg Kasch

Heidelberg, 3. Mai 2017. Warum geht es in Falk Richters "Small Town Boy" so ausführlich um schwulen Sex? Um das Aufknöpfen von Hosen, begehrenswerte Achselhöhlen, Finger im Arschloch? Weil er sonst nicht vorkommt auf der Bühne. Heterosex ja, Homosex nein. Das ist natürlich ungerecht. Und ein bisschen das Abo-Publikum schocken geht so bestimmt immer noch. Deshalb also reden die fünf Schauspieler auch in der Karlsruher Inszenierung von Falk Richters Stück über schwulen Sex, was für Insider natürlich kalter Kaffee und für Menschen, die nicht so gerne über Sex reden, vermutlich die Hölle ist.

Biografische Verwirrspiele, politische Fliehkräfte

 Es gibt ja auch spannendere Themen in "Small Town Boy", Väter und Söhne zum Beispiel, das Zusammensein-Wollen und nicht Zusammensein-Können, die Verflechtung des Privaten mit dem (Wirtschafts-)Politischen. Die wohlstandsverwahrloste Berlin-Mitte-Larmoyanz, die immer wieder durchbricht, gehört eher nicht dazu. Die Provinz ist hart, Berlin ist härter? Oder ist das alles nur Ironie?

"Small Town Boy" ist kein gutes, also gut gebautes Stück, das fällt bei der Karlsruher Nachinszenierung stärker auf als bei der Berliner Uraufführung 2014. Richter sorgte da als Regisseur auf der sich drehenden Flokati-Bühne für kühle Räusche und setzte ansonsten auf die lässige Sexyness seiner Darsteller, denen der Text auf den Leib geschrieben war. In der Karlsruher Inszenierung betont Regisseur Atif Hussein hingegen das Skizzenhafte, die Fliehkräfte der einzelnen Teile, deren biografische Bezüge und Verwirrspiele hier ins Leere laufen.

Verirrt im Melodram

Drei Raumfragmente fügen sich zu immer neuen Formationen, dazu gibt es eine Handkamera und eine Leinwand, eine Minibühne für die Szene mit den Ken-Puppen – alle so schön uniform, abwaschbar und langweilig im Karussell der Onenightstands. Hier suchen die Schauspieler nach ihren Rollen, als geisterten sie durch ein Pollesch-Stück. Sie verirren sich ins Melodram, brechen Szenen trocken ab, bitten um mehr Licht – und Musik.

Smalltownboy1 700 Felix Gruenschloss uBühnen-Elemente, Handkamera, Leinwand: Atif Husseins Inszenierung betont das Fragmentarische © Felix Grünschloß


Die Songs kitten wie schon in Berlin die Brüche, natürlich Bronski Beats titelgebender Sehnsuchtssound, aber auch "Nature Boy" und "There's a place for us", funkelnde Balladen, die Meik van Severen auf bezaubernde Art ins Ätherische entrückt. Und auch die Pointen funktionieren, wenn sich ein Schauspieler als heterosexuell outet und herrlich komische Auszüge aus dem Softporno-Bestseller "50 Shades of Grey" alle sexuellen Kategorisierungen von normal und unnormal durcheinanderwirbeln. Angenehm sperrig reiben sich Sebastian Reiß und Luis Quintana an ihrer komplizierten (Nicht-)Beziehung und ihren Rollen, während Sithembile Menck ihre schräge Karrierefrau-Parodie camp as camp can be zelebriert.

Wo ist die Wut?

Die einzelnen Teile aber in all ihrer szenischen Vielfalt bröseln auseinander, da fehlt ein glühender Drive, vielleicht auch eine Schippe Wut. Die berühmte Protestrede, die gegen unser scheinliberales Land polemisiert und dabei so bewusst unter die Gürtellinie geht, diese Rede, die Thomas Wodianka in Berlin zum Herzstück des Abends machte, gerät bei Sebastian Reiß geradezu zivilisiert, ja aufklärend didaktisch.

Klar, Karlsruhe ist nicht Berlin, sondern liegt in jenem Baden-Württemberg, in der die "Demo für alle" erstaunliche Erfolge feierte. Parolen der Kundgebungen haben es auch in die Karlsruher Inszenierung geschafft, die Reiß' Monolog im Puppenstubenformat illustriert: Da tummeln sich zwischen Mann (Gorillafigur) und Frau (Prinzessin) Bilder von Angela Merkel, Wladimir Putin, Beatrix von Storch, Birgit Kelle – und blutenden schwulen Demonstranten in Russland.

Diese doppelte Reduktion aber lässt den Text selbst ziemlich blass aussehen. Als selbstbewusste, provokante Geste war "Small Town Boy" 2014 wichtig. Aber an der Zeit wäre es eigentlich, auf der Bühne mal queere Geschichten erzählt zu bekommen, wie sie der Film längst kann: Ira Sachs' "Keep the lights on" zum Beispiel, "Théo & Hugo" von Olivier Ducastel und Jacques Martineau oder die von Xavier Dolan, in denen die Charaktere nicht nur mit sich und ihrer Sexualität beschäftigt sind, sondern miteinander. Also wie in den guten der heterosexuellen Stücke auch.

 

Small Town Boy
von Falk Richter
Regie & Puppen: Atif Mohammed Nour Hussein, Bühne & Kostüme: Petra Korink, Musik: David Rynkowski, Dramaturgie: Michael Gmaj.
Mit: Sithembile Menck, Luis Quintana, Sebastian Reiß, Gunnar Schmidt, Meik van Severen.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.staatstheater.karlsruhe.de

   

Zum Gespräch mit dem Regisseur Atif Hussein über seine Karlsruher Nachinszenierung

Zur Nachtkritik der Inszenierung am Staatstheater Karlsruhe im Juni 2016

 

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