Melde das, Medium

von Wolfgang Behrens

Heidelberg, 30. April 2017. Der Hexameter ist ein vom Aussterben bedrohtes Wesen. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, wie zahlreich er sich einst in literarischen Gefilden tummelte – noch bis ins frühe 20. Jahrhundert etwa galt die in Hexametern verfasste Verserzählung "Hermann und Dorothea" neben dem "Faust" als das Hauptwerk Goethes. In Zeiten jedoch, in denen das mediengerechte Sprechen längst auch in die Künste ausstrahlt, hat sich der Hexameter rar gemacht und steht nun auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Es mutet insofern wie eine revolutionäre – oder reaktionäre? – Tat an, wenn Altmeister Volker Braun sein am Berliner Ensemble uraufgeführtes Stück "Die Griechen" in Versen verfasst hat, in rhythmisch gebundener Sprache – und nicht zuletzt unter reichhaltiger Verwendung des Hexameters. Besonders bemerkenswert daran ist, dass er seinen Stoff genau jener Sphäre entreißt, die uns im Normalfall nur fernsehförmig aufbereitet entgegentritt: der Tagespolitik.

Verfremdungseffekt wirkt

Hier also stolzieren plötzlich Personen wie der ehemalige griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou, der Volkstribun Yanis Varoufakis oder der "Eurotaurus" Wolfgang Schäuble auf dem hohen Kothurn des Versfußes einher. (Kostprobe: "Still, da kommt Varoufakis, mit schweren Schrittchen. Und barfuß.") Und tatsächlich: Der Verfremdungseffekt greift. Der Mediensprache entwunden, hört man dem Geschehen rund um den nicht stattgehabten Grexit und um ein ins Sparkorsett gezwängtes Volk mit runderneuerter Aufmerksamkeit zu.

Griechen1 700 Thomas Eichhorn uDie große Swetlana Schönfeld in "Die Griechen", aus dem Staatsdienst gefeuert zur Rachegöttin aufsteigend
in "Die Griechen" © Thomas Eichhorn


Was auch der ganz auf die Sprache konzentrierten Inszenierung von BE-Urgestein Manfred Karge zu danken ist. 14 Stühle, ein Tisch, ein Hocker, weiße Brechtgardinen – mehr braucht es nicht. Mal chorisch, mal solistisch geführt, vertrauen sich die dreizehn Darsteller*innen dem Rhythmus der Verse an, ohne ihren Sinngehalt durch hohles Klappern zuzuschütten. Und wenn die große Swetlana Schönfeld als aus dem Staatsdienst gejagte Putzfrau wie eine Rachegöttin resolut ihre Sprachblitze schleudert ("Melde das, Medium."), ist das ohnehin grandios: In ihr gehen hoher Ton und proletarischer Furor eine wunderbar explosive Mischung ein.

Nah an Leitartikel-Kultur

Und doch bleibt am Ende ein Ungenügen. Denn sosehr die aus der Zeit gefallene Form des Textes von Volker Braun Fallhöhe suggeriert, sosehr sie durchs Befremden hindurch zum Hinhören zwingt – inhaltlich ist das Ganze ein recht dünn ausgerollter Teig. Was uns Braun von der Griechenland-Krise letztlich berichtet, bleibt am sattsam Bekannten kleben und geht in Einordnung und Analyse kaum über einen durchschnittlichen Leitartikel hinaus. Die gute Nachricht also lautet: Der Hexameter lebt. Und die schlechte: Neues hat er – zumindest an diesem Abend – nicht zu sagen.

Die Griechen
von Volker Braun
Uraufführungs-Gastspiel
Regie: Manfred Karge, Bühne und Kostüme: Beatrix von Pilgrim, Musik / Klavier: Tobias Schwencke, Dramaturgie: Hermann Wündrich.
Mit: Krista Birkner, Claudia Burckhardt, Swetlana Schönfeld, Marina Senckel; Raphael Dwinger, Winfried Goos, Anatol Käbisch, Michael Kinkel, Benno Lehmann, Joachim Nimtz, Stephan Schäfer, Sven Scheele, Felix Tittel.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.berliner-ensemble.de

 

Zur Nachtkritik der Uraufführung am Berliner Ensemble im September 2016

Kommentare  

#1 Die Griechen: Verfremdungszwang Problemkind 2017-05-02 07:57
Tja, dann nutzt ja der Hexameter auch nicht so viel, wenn er nicht automatisch auch Neues, trotz alles Aktuellen, über das klanggespitzte Ohr der kollektivgewordenen Rübe anheimstellt zu eigenem Denken und Sinnen... man kann Verfremdung auch so missverstehen, dass man einem Verfremdungszwang erliegt und das dann auch noch auf Brecht schiebt!

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