Im Käfig

von Michael Wolf

Heidelberg, 6. Mai 2017. Reisen bildet. Auch das Reisen der anderen. Das Kiewer Dakh Theater gastiert mit "Haus der Hunde" in Heidelberg, und schon nach wenigen Minuten fühlt man sich fremd. Einen ähnlichen Abend hat zumindest dieser Kritiker in der deutschsprachigen Theaterlandschaft noch nicht erlebt.

Im ersten Teil der Inszenierung vegetiert das Ensemble in einem niedrigen Käfig vor sich hin. Einer der Gefangenen ist zugleich der Wärter. Folgsam führen die Elenden seine Befehle aus: Essen!, Schlafen!, Arbeiten!, Tanzen!, Singen! Sind das noch Menschen, ohne das Menschenrecht der Freiheit? Wie Götter schaut ein Teil der Zuschauer auf Bänken von der Käfigdecke auf sie herab. Der Rest des Publikums sitzt um den Käfig herum und verfolgt ihre kraftlosen Bewegungen durch die Gitterstäbe.

Wer seid ihr? Habt ihr keine Hymne?

Nach der Pause wechseln Publikum und Ensemble ihre Plätze. Die Zuschauer nehmen im Käfig Platz, während die Schauspieler*innen in wallenden Gewändern über ihnen thronen. Nur mit Taschenlampen beleuchten sie ihre Gesichter, wenn sie chorisch Lieder aus dem Ödipus-Mythos singen. Bass, Cello und Geige komplettieren den musikalischen Part dieser Theatermesse. Auch die Zuschauer sollen singen. Einer der Schauspieler verhöhnt sie: "Wer seid ihr? Habt ihr ein Lied, das alle können? Habt ihr keine Hymne?" Aber das deutsche Publikum weigert sich – nicht überraschend – "Einigkeit und Recht und Freiheit" anzustimmen. Es schweigt beklommen.

Haus der HundeNoch sitzt das Publikum den Käfig herum, aber das wird sich ändern … © Vasyl Osadchyi

Es folgen kurze Monologe und rästelhafte Rituale. Das Ensemble schüchtert das gefangene Publikum mit Tritten gegen das Gitterdach ein, Schauspieler legen einen Eid ab und beschwören in exakten Choreographien den Geist einer geschlossenen Gemeinschaft.

Ungebrochenes Pathos

Die Inszenierung sei während der Maidan-Proteste entstanden und werde ständig aktualisiert, heißt es. Hin und wieder scheint zaghaft der ukrainische Bürgerkrieg als untergründiges Thema des Abends auf. Etwa in der Geschichte von Kain und Abel – dem ersten Brüderkrieg. Oder im Vortrag der Rede einer Mutter, deren Sohn im Krieg fiel: "Für das Vaterland hat er sein Leben geopfert. Das Vaterland adoptierte meinen Sohn und gab ihm einen schönen Tod." Ist das wirklich ernst gemeint? Die Inszenierung "Haus der Hunde" fordert heraus, wie die Begegnung mit dem Fremden immer herausfordert. Auch die mit dem ästhetisch Anderen.

So düster, verrätselt mythisch und vor allem ungebrochen pathetisch traut sich in der deutschsprachigen Theaterlandschaft kaum jemand zu inszenieren wie Regisseur Vladyslav Troitskyi. Und das ist vielleicht auch schon ein guter Grund, das "Haus der Hunde" zu betreten.

 

Haus der Hunde
von DAKH-Theater
Idee, Text, Regie: Vladyslav Troitskyi nach Texten von Sophokles, KLIM, Vasyl Barka, Janusz Korczak, Ilya Kalyukin, Bühne: Vladyslav Troitskyi, Dmytro Kostyumynskyi, Musik: Vladyslav Troitskyi, Roman Iasynovskyi, Solomiia Melnyk.
Mit: Ievgen Bal, Vasyl Bilous, Natalka Bida, Maksym Demskyi, Tetiana Havrylyuk, Roman Iasinovskyi, Ruslana Khazipova, Vira Klimkovetska, Solomiia Melnyk, Semen Mozgovyi, Andrii Palatnyi, Nikita Skomorokhov, Tetyana Vasylenko, Vyshnya Zo.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.dax.com.ua/en

 

nachtkritik.de besprach die Inszenierung auch 2016 beim Festival Theaterformen in Braunschweig

Zur "Theaterlandschaft Ukraine" von Anastasia Magazowa