Stehen wir auf der guten Seite?

nachtkritik.de: Im Februar wurde am Theaterhaus Gessnerallee in Zürich eine geplante Diskussionsveranstaltung abgesagt. Die Teilnahme des AfD-Ideologen Marc Jongen hatte für massive Proteste gesorgt – nicht zuletzt gab es einen Offenen Brief, den viele Künstler*innen unterzeichnet haben. Die Frage, die damit im Raum steht: Will man als Künstler*in den Dialog mit der Neuen Rechten eigentlich vermeiden? Ist es eine Strategie, in einer Filterblase zu bleiben und gar nicht reden zu wollen, oder bewegen einen noch andere Gedanken im Hintergrund? Thomas Köck und Gerhild Steinbuch, Sie haben den offenen Brief unterschrieben. Dirk Laucke, Sie findet man nicht auf der Unterschriftenliste.

Dirk Laucke: Ich schau mir den Kulturbetrieb eher aus den Augenwinkeln an, das ist ganz gut fürs Schreiben. Ich kannte die Gessnerallee als Spielbetrieb überhaupt nicht. Alles, was ich weiß ist, dass sie eine Veranstaltung nicht gemacht haben. Dafür sind sie jetzt bekannt. Über etwas zu sprechen, was nicht gemacht wurde, ist – hm, naja. Da kann man fast wieder die verstehen, die rummeckern: "Warum habt ihr das nicht gemacht? Dann würdet ihr sehen, dass die Welt nicht untergeht." Von meiner Außenwarte gesehen, unterstreicht das Ganze jedenfalls zwei Vorurteile über Theaterleute: Entweder sind sie besonders naiv, weil sie nicht mit Protesten rechnen, wenn sie die Rechte einladen. Oder sie sind besonders aufmerksamkeitssüchtig, weil sie genau damit rechnen.

nachtkritik.de: Wie ist es bei Ihnen, die Sie unterschrieben haben?

thomas koeck Elsa Sophie Jach uThomas Köck war 2015 mit
"paradies fluten" im Autoren-
wettbewerb des Stückemarkts
vertreten. © Elsa-Sophie Jach
Thomas Köck:
Auf solchen Veranstaltungen werden Zeichen und Räume gekapert. Das ist meine langjährige Erfahrung mit solchen Veranstaltungen in Österreich. Jedes Mal, wenn wirklich ein Diskurs über Begriffe und Haltungen stattfindet oder stattfinden könnte, passiert nämlich Folgendes: Die rechten NLP-geschulten Rhetoriker verdrehen Begriffe, und es findet in den meisten Fällen sowieso kein Dialog statt. Stattdessen wird von den NLP-geschulten Rechten die Opferrolle beansprucht, und das Recht auf Meinungsäußerung für rechte Hetze missbraucht. Man kann diese Vorgänge im Übrigen bereits in einem von der Gessnerallee veröffentlichten Email-Verkehr zwischen dem Dramaturgen und dem so auch präsentierten "Star-Philosophen" der rechten Szene nachlesen. Das ist das Grundsatzproblem, diese öffentlichen Veranstaltungen werden genutzt, um im Grunde rechtsradikale Positionen mit einem Schönsprech mehrheitstauglich und gesellschaftsfähig zu machen – und wenn man ihnen die Räume nicht gibt, zerfleischt sich halt die Linke in Selbstkritik.

nachtkritik.de: Dirk Laucke, Sie haben sehr konkrete Erfahrungen gemacht mit dem "Ultras"-Projekt in Halle, eine in der Öffentlichkeit geführte Diskussion hat's darum auch gegeben.

Laucke: Hat's gegeben, ja, aber erstmal haben wir ein Kunstprojekt gemacht. Wir können also von etwas reden, was stattgefunden hat. Es wurden auf der Bühne Gegenseiten verhandelt, und es gab Gespräche hinterher. Die waren zum Teil länger als die Veranstaltung selber.

nachtkritik.de: Heißt das, der Unterschied war, dass die Diskussion auf der Bühne stattgefunden hat?

Laucke: Der Gegenspieler vom Feindesverein, dem 1. FC Magdeburg, reizte die Ultras und sagte: "Man sieht doch, dass ihr Rechte seid." Darum ging es dann in der Diskussion auf der Bühne, die war auch sehr offen gehalten. Zu dem sogenannten Skandal kam es, weil die Mitteldeutsche Zeitung gesagt hat, es werde den Positionen auf der Bühne nicht widersprochen. Diese Aussage der MZ war und ist falsch. Auf der Bühne wurde den Positionen offensiv widersprochen. Aber auf diesen Zug ist die Bürgermeisterin damals aufgesprungen und hat gesagt: Wir streichen einfach die Szene. Ab dem Moment musste ich mich einschalten. Erstens, weil die Zeit der Zensur vorbei ist. Und zweitens: Wenn wir diese Szene gestrichen hätten, hätten wir genau das, was die Stadt toll findet, nämlich, dass es keine Rechten gibt, dass die Ultra-Jungs zwar auf Krawall gebürstet sind, aber völlig unpolitisch. Ich habe dann in einem Text auf nachtkritik.de nochmal erklärt, was auf der Bühne verhandelt wurde, das kann man nachlesen.

nachtkritik.de: Damals wurde eher entpolitisiert, heute werden die Diskussionen bereits im Vorwege mächtig aufgeladen. Sind diese Extreme schon Teil der Schwierigkeit, mit und über Rechte eine öffentliche Diskussion zu führen?

Laucke: Na, wir diskutieren ja gerade ... Heute denke ich, ich hätte das Projekt dokumentarisch verarbeiten sollen, in einem Film zum Beispiel. Was ich mit den Ultras erlebt habe, war noch viel derber als das, was auf die Bühne kam. Auf der Bühne gibt es Grenzen, die Frage spielt eine Rolle, wie weit sie sich reinschauen lassen in ihr Geschäft. Und das wird bei den neuen Rechten und Identitären ähnlich sein.

nachtkritik.de: Gerhild Steinbuch und Thomas Köck, Sie haben zusammen mit anderen Autoren den Blog Nazis & Goldmund gegründet. Welche Strategie verfolgen Sie da, politisch zu wirken?

Steinbuch Gerhild Tobias BohmGerhild Steinbuch ist in diesem Jahr mit
"Beate Uwe Uwe Selfie Klick" in Heidelberg
zu Gast. © Tobias Bohm
Gerhild Steinbuch:
Wir betreiben Arbeit mit Sprachmaterial, mit rechter Rhetorik, um dahinterstehende Positionen zu entlarven, auf Unstimmigkeiten in der Argumentationskette hinzuweisen. Da es sich um einen literarischen Blog handelt, unterscheidet sich unser Ansatz von konkreten Bühnenarbeiten, wie zum Beispiel die eben angesprochene Arbeit von Dirk. Wir setzen bei der Sprache an: Wie werden politische Themen in unterschiedlichen Medien besprochen, wie sprechen die Rechten über sich, und wie wird über die Rechten gesprochen, wo täuscht Sprache über fehlende Inhaltlichkeit hinweg – Stichwort NLP-geschulte Rhetoriker und ihre Begriffsverdrehungen. Davon hat Thomas ja vorhin bereits gesprochen. Wir sind fünf Autor*innen: Sandra Gugic, Jörg Albrecht, Thomas Arzt, Thomas und ich. Dementsprechend unterschiedlich sind auch unsere Texte. Vielfalt in Form und Stil sind uns wichtig, weswegen wir uns seit Anfang des Jahres auch um Gastautor*innen erweitert haben, zum Beispiel Miroslava Svolikova oder Ferdinand Schmalz.

nachtkritik.de: Geht es also grundsätzlich erstmal um die Suche nach einem Weg, sich überhaupt zu äußern?

Steinbuch: Genau, sich als Autor*innen zur Rechten zu verhalten, sich zu positionieren. Jede Woche erscheint ein Text, der jeweils von einer anderen Autor*in aus dem Kollektiv lektoriert wird.

Köck: Verabredung ist, dass die Texte im weitesten Sinn literarisch sind. Jedenfalls sollen sie den Rahmen des Journalistischen übersteigen, um die Sprache, auch die Sprache der Rechten, zu erfassen und nochmal anders zu drehen.

nachtkritik.de: Warum geht man damit ins Netz?

Köck: Wo trifft sich die Neue Rechte? Sie trifft sich im Netz. In Foren, auf Blogs, in den Social-Media-Kanälen, auf V-Blogs. Und das war die Strategie, ins Netz zu gehen und die Aufmerksamkeit dorthin zu ziehen, wo sich die Empörungswut manifestiert auf allen Seiten. Die Idee ist auch, mit Hashtags in deren Kanäle zu gehen und die Ebenen übershiften zu lassen. Oder auch Fake-Interviews zu inszenieren und durchzuschicken. Mal schauen, wohin das noch läuft.

nachtkritik.de: Verstehen Sie sich als politische Autoren?

Köck: Solche Bezeichnungen kommen immer von außen bzw. werden an gewisse Personen herangetragen, sind aber eigentlich, glaube ich, eh nur dazu da, ein gewisses feuilletonistisches Interesse zu bedienen und zu befriedigen. Eine Zeit lang haben alle von den unpolitischen Autor*innen gesprochen, jetzt sucht man wieder die politischen. Weiß nicht. Wie gesagt, das ist so ein Feuilletondiskurs. Die Frage ist ja eigentlich, kommt die eigene Arbeit vor dem Selbstverständnis oder umgekehrt. Meine Arbeit speist sich einfach aus dem Bedürfnis, Zusammenhänge zu verstehen, und aus der andauernden Suche heraus entstehen dann verschiedene Arbeiten.

Laucke: Ich schreibe Texte, die mir gefallen sollen. Sie sind nur politisch in dem Sinne, dass sie gewisse politische Inhalte in sich tragen. Figuren in meinen Texten haben oft eine Geste von Rebellion, und sie schwimmen auf einer Oberfläche von politischen Verhältnissen oder Umbruchsituationen. Zum Beispiel drei Typen, die abhauen wollen oder jemand, der seinen Job zurückfordert. Da sind politische Komponenten dabei, aber erstmal ist da ein Stück, das ich mit Handlung füllen will. So gesehen, würde ich das nicht als politisch beschreiben, was ich mache, aber in vielen Texten spielt das trotzdem eine Rolle.

nachtkritik.de: Worum könnte es in Stücken gehen, die der Neuen Rechten das Wasser abgraben?

Laucke: Wenn man das will, wäre es sicher besser, über die Probleme der Menschen zu sprechen.

nachtkritik.de: Sie haben sich sehr früh schon mit den unterschiedlichen Formen rechten Gedankenguts beschäftigt ...

Laucke 560 Karoline Bofinger uStücke von Dirk Laucke waren mehrfach im
Gastspielprogramm des Stückemarkts zu sehen.
2012 wurde in Heidelberg Lauckes "Einigkeit
und …" uraufgeführt. © Karoline Bofinger
Laucke:
Ja, ich hatte zum Beispiel den Auftrag, für Dresden etwas zu 20 Jahren Fall der Mauer zu machen. Und klar war, ich mache etwas über die Festung Europa. Da finden ein paar Leute einen Laster mit Kippen und mit Flüchtlingen. Wenn ich mich dem Mauerfall nähere und wie ich den mitbekommen habe, dann spielt das autoritäre Denken im Osten auf jeden Fall eine Rolle, das sich aus dem Nationalsozialismus nahtlos übertragen hatte. Im Stück wird dann auch darüber gesprochen, wie in der DDR mit Fremden oder mit Gastarbeitern umgegangen wurde. Daraus ergibt sich fast logisch, wie man später in Hoyerswerda mit den Leuten umgegangen ist.

nachtkritik.de: Ist die AfD daraus wiederum die logische Konsequenz?

Laucke: Die AfD hat ja schon früher angefangen als Pegida und ist ein Überbleibsel von einem europakritischen, neurechten Konservatismus. Die AfD konnte dann sehr gut bei Pegida anknüpfen. Vorher war sie eigentlich eine elitäre Sache, jetzt hat sie eine viel größere Breitenwirkung erlangt, weil sie sich als Partei des kleinen Mannes darstellt. Ich glaube allerdings nicht, dass Kunstwerke oder Theaterstücke geeignet sind, die Positionen der AfD argumentativ aufzudröseln. Es ist cleverer, den Leuten zu zeigen: Wo wirtschaften die in ihre eigene Tasche, wie viele Millionen stecken die gerade ein, als ein Argument zur "Identität" als alogisch zu entkräften. Mir gefallen selbst auch keine Theaterstücke, in denen ich belehrt werden soll. Wobei die Leute tatsächlich zum Infotainment ins Theater gehen, weil sie das, was in der Kulturblase ständig behauptet wird, mittlerweile abgekauft haben. Da ist ja auch eine Stromlinienförmigkeit mit drin, bei der die AfD prima einhaken kann.

nachtkritik.de: Heißt das, dass das Theater kein Ort der Gegenwehr ist?

Laucke: Zumindest sind Theaterstücke kein Ort der adäquaten Analyse von rechten Inhalten. Eher vielleicht ein Ort der Analyse von Macht und Machtgefälle: Wie säbelt der eine den anderen weg? Einem inhaltlichen Fokus wird Theater nie wirklich gerecht. Theaterstücke können nicht in anderthalb Stunden den Kapitalismus so erklären, dass danach die Revolution ausbricht. Theater hat ja auch ein affirmatives Moment, man geht dahin, um unterhalten zu werden. Ich vergesse nie, dass ich ein Unterhalter bin. Ich hoffe nur, dass die Affirmation nicht so weit geht, dass die Leute nach dem Theater sagen: Jetzt gehe ich AfD wählen. Ein Nachdenken darf das Theater schon auslösen, viel mehr kann's wohl nicht sein.

nachtkritik.de: Ihre Stücke, Herr Köck, versuchen ja schon so etwas wie Analysen, oder nicht? Jedenfalls retrospektiv Fäden zu finden und ein Panorama aufzumachen...

Köck: Ich finde die Gegenüberstellungen schwammig bis schwierig. Als könnte ein Theatertext, der unterhält, nicht analysieren oder als könnte Analyse nicht unterhalten. Als sei ein dialogischer Text leichter verdaubar, aber dafür nicht theoretisch unterfüttert, oder eine offene Textform sofort schwer zu lesen und unlustig. Aber um auf die Frage zu antworten: Wenn ich versuchen würde, die Neue Rechte zu erklären, würde ich automatisch nach der Geschichte fragen, also was sind die historischen Bedingungen dieser Neuen Rechten? Wo kommen die her? Genauso, wie es ja historische Gründe gibt, dass das Finanzkapital in der Person von Trump jetzt wieder ganz oben steht. Und die zu begreifen, das interessiert mich halt. Aber nicht um zu predigen, sondern weil es mich dann angeht, meine Geschichte wird. Die Gegenwart – mit ihrer Ideologie und damit meinen Ansichten – die ist ja nicht einfach so vom Himmel gefallen. In meiner Arbeit interessiert es mich dann schon, diese Bedingungen zu recherchieren. Kunst und Theater können ja eine andere Öffentlichkeit ansprechen. Und mich kicken halt theoretische Texte sprachlich einfach. Die liefern Bilder und Begriffe, mit denen ich arbeiten kann, um gewisse Dinge anzusprechen bzw. freizulegen.

Laucke: Dinge wie zum Beispiel: Finanzkapital ist böse ...?

Köck: Wo es herkommt, was seine historischen Bedingungen sind, wie es schon immer mit einem faschistoiden System zusammenhängt.

Laucke: Ist das so? Hängt der Finanzkapitalismus mit dem faschistoiden System zusammen?

Köck: Es gibt auf jeden Fall eine Parallelisierung von dem, was Besitz, Identität und Kapital anbelangt.

Laucke: Ich behaupte jetzt mal, dass das Finanzkapital besser mit Diversity leben kann als im faschistischen System. Deswegen können zum Beispiel CNN-Moderatoren farbig sein. Ich verstehe diesen direkten Weg nicht – die Dimitroff-Doktrin –, dass der Kapitalismus den Faschismus zur Folge habe. Der Faschismus ist doch eine Gegenwehr zum Kapitalismus: Er will das Finanzkapital zähmen. Zumindest ist es das, was die Rechten sagen, die das Abstrakte ja ablehnen und lieber einen Unterschied aufmachen zwischen ehrlicher und nicht-ehrlicher Arbeit. Und die nicht-ehrliche Arbeit sind zum Beispiel Finanztransaktionen. Der Nationalsozialismus hatte ein antikapitalistisches Moment. Deswegen glaube ich nicht, dass der Faschismus mit dem Finanzkapital Hand in Hand gehen muss.

Köck: Ich hab' fast vergessen, dass wir gerade einen Rechtsruck in Europa erleben, der – egal ob farbige CNN-Moderatoren im Fernsehen sind – wieder zwischen innen und außen, zwischen dem Heimatkörper und dem Fremdkörper trennt. Zynisch gesagt: ja, das Finanzkapital und die von ihm repräsentierten, profitierenden Klassen können natürlich wunderbar mit Diversity leben.

nachtkritik.de: Hat sich das Schreiben fürs Theater geändert seitdem "authentische" Projekte und Laien auf die Bühne kommen und angeblich für das einstehen, was sie sind. Hat das das Schreiben verändert, auch wenn man vielleicht gar nicht für diese Laien schreibt?

Laucke: Die Frage geht von einem Konkurrenzverhältnis aus, aber das sehe ich nicht. Das existiert nebenher, und manchmal wird es vielleicht sogar vermischt.

Köck: Ich bin noch nicht so lange dabei, um das sinnvoll zu beurteilen. Das müsst ihr sagen. Schreiben ändert sich andauernd.

Steinbuch: Ich bin etwas länger als Thomas dabei, insofern haben mich Arbeiten wie zum Beispiel die von Rimini Protokoll natürlich beeinflusst, weil sie mit Anfang zwanzig neu für mich waren und mir so einen Anreiz gegeben haben, anders über Form nachzudenken, über Text, über das, was ich da eigentlich mache. Ich finde aber vor allem die Debatte, die danach kam, interessant. Inwiefern sind diese Projekte überhaupt authentisch, würden sie sich selbst als authentisch definieren, und vielleicht allgemeiner: wer schreibt die Geschichte, wer führt Regie? Theater ist für mich gerade dort interessant, wo es um Erzählstrategien geht, aber nicht im klassischen Sinn um einen literarischen Text. Sondern um Formen die vom Material ausgehen und vom Körper – wie Tanz –, die eine größere Unmittelbarkeit haben.

nachtkritik.de: Gerhild Steinbuch, würden Sie sich denn als politische Autorin verstehen? Und wenn nein: Ihre Stücke sind ja politisch. Wo ist der Unterschied?

Steinbuch: Ich gehe nicht vom Plot aus, sondern von einem Thema, zu dem ich recherchiere. Der Ansatz bei der Recherche ist ein politisches Interesse. Eine andere Frage ist dann aber, inwiefern sich das auch in den Texten einlöst: Wie gut verarbeite ich das Material? Inwieweit findet man eine Form, die dem Thema gerecht wird – oder bleibt die doch affirmativ? Der Auftrag sollte ja sein, nach einer Form zu suchen, die keine bekannte Verpackung ist, bei der nicht jede*r der im Theater sitzt, nickt, weil er oder sie von vornherein weiß, worauf der Abend hinläuft und wer auf welcher Seite steht; eine Form zu finden, die Irritation auslöst und auf den Körper zurückspielt. Die Form ist selbst das Thema oder trägt dazu bei.

nachtkritik.de: Das heißt, das Politische beginnt schon da, wo eine Irritation im Zuschauer entsteht?

Steinbuch: Man sollte in der Arbeit – auch wenn das jetzt nicht besonders viel ist und ein Allgemeinplatz – wenigstens eine Frage stellen, die noch nicht zigmal bejahend abgenickt worden ist, eine Bruchlinie aufzeigen, einen Riss schaffen im Gesamtbild.

nachtkritik.de: Und wie wäre es mit einer Utopie?

Steinbuch: Man neigt ja dazu, dystopisch zu schreiben.

Köck: Es gibt eh schon so viele Heimatfilme.

Steinbuch: Mit der Dystopie wird es dort schwierig, wo man sich darauf ausruht.

nachtkritik.de: Weil es einfacher ist, gegen etwas als für etwas zu sein?

Steinbuch: Oder weil es einfacher ist, ein Problem zu konstatieren, das wir alle kennen und das am Theater auch schon oft durchgekaut wurde. Wir wissen auch, dass wir selbst nicht ganz auf der guten Seite stehen, aber schon größtenteils, weil wir ja darüber reflektieren können, dass wir nicht ganz auf der guten Seite stehen. Wenn sich die Arbeit in so einem Konstatieren erschöpft, ohne dass es zu einem weiteren Denkschritt oder in ein konkretes Handeln kommt, ist das frustrierend. Ich bin hier aber auch von mir selbst frustriert und suche nach Möglichkeiten, anders zu denken, zu arbeiten.

Laucke: Es ist ja auch problematisch, dass wir selbst natürlich ebenfalls erfolgsorientiert denken. Wenn eine Utopie wäre, dass Kultur für alle zugänglich ist, dann wäre das schon 100 km von Berlin entfernt eine Schwierigkeit. Denn natürlich will man, dass das eigene Stück nicht irgendwo uraufgeführt wird. Das spielt auch eine Rolle, wenn man sagt, dass wir nicht ganz auf der guten Seite stehen. Wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, wäre es vielleicht leichter, mit jemandem gemeinsam die Utopie zu leben und irgendwo auf einem Dorf, in dem es keinerlei Kultur gibt, den Rattenfängern das Wasser abzugraben. Aber wir wollen halt auch weltberühmt werden.

Steinbuch: Oder erst einmal leben können. Eine andere Frage ist ja, inwieweit man innerhalb des Stadttheatersystems überhaupt Zeit für eine umfangreiche Recherche oder eine längere Arbeit mit Leuten vor Ort hat. Wenn man acht Wochen hat, ist das toll, aber eigentlich bräuchte man, um sich einem Thema und den Menschen, die mit ihm zu tun haben, anzunähern, ein Jahr.

nachtkritik.de: Das klingt so, als sei der Kontakt zu "richtigen" Menschen das Geheimnis für einen politisch wirksamen Text.

Laucke: Es ist das Geheimnis für einen Text. Das kann ich für meine Begriffe sagen. Ich treffe Leute, die ein Problem haben. Das Problem wandelt sich in meinem Kopf, und schon kommt ein Text. Das ist nichts Konstruiertes, sondern das sind Erfahrungswerte von Leuten, Situationen, in denen ich selber war – das sind für mich die Auslöser der Ideen.

nachtkritik.de: Sie alle recherchieren für Ihre Stücke zu Themen und in bestimmten Milieus. Aber es gibt – so konnte man es vorhin bei Dirk Laucke zumindest heraushören – eine Abneigung gegen das Wort Belehrung.

Steinbuch: Ich hoffe jedenfalls, in meinen Texten nicht belehrend zu sein. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe für eine Stückentwicklung relativ lang, ein Dreivierteljahr etwa, zum NSU und den Rechten in Europa recherchiert. Und je länger ich recherchierte, desto mehr hatte ich den Eindruck: Ich weiß nichts. Ich war völlig orientierungslos in dem Sinne, dass sich immer mehr Querverbindungen hergestellt haben zwischen diversen Organisationen, so dass ich irgendwann nicht mehr sagen konnte, was Fakt ist, was die Geschichte, die ich schreiben will, und was meine eigene Verschwörungstheorie. Und diese Orientierungslosigkeit, die Sehnsucht nach einer Geschichte, einer einfachen Wahrheit und das Problematische daran ist, finde ich, eine gute Ausgangslage, um zu schreiben und den Lesenden oder Zuschauenden dann auf diesen Weg mitzunehmen. Der Rechercheweg ist offengelegt, an dessen Ende keine Ordnung steht, keine einfache Wahrheit, höchstens ein Aufzeigen von Querverbindungen, von Strukturen, aber auch von eigenen paranoiden Welterklärungsmodellen. Das ist hoffentlich nicht belehrend. Klar, Informationen werden durch den Text mitgegeben, aber die sind nicht didaktisch von A bis Z aufbereitet, sondern Ansatzpunkte für Überlegungen, die hoffentlich nach der Aufführung noch weitergehen.

nachtkritik.de: Soll der Zuschauer mit einem Auftrag rausgehen?

Steinbuch: Nein, sondern mit einem Interesse, sich selbst weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Die Stückentwicklung "Beate Uwe Uwe Selfie Klick" – die auch beim Heidelberger Stückemarkt gezeigt wird – entstand gemeinsam mit der Regisseurin Laura Linnenbaum für das Festival "Unentdeckte Nachbarn" zum NSU-Komplex in Chemnitz, und wir haben dafür unter anderem auch zu Täterinnen und deren medialer Wahrnehmung recherchiert. Wir bekamen dann von Theatergängern die Rückmeldung, dass in ihrer Wahrnehmung Täterinnen im Gegensatz zu Tätern bislang gar nicht aufgetaucht waren und dass sie dem nun weiter nachgehen würden. Insofern hat unsere Arbeit also vielleicht zu einer weiteren Auseinandersetzung angeregt.

nachtkritik.de: Das klingt alles sehr defensiv, einerseits hat man den Eindruck, Sie sind schon schon sehr unzufrieden mit der Welt, aber Sie wollen auf keinen Fall belehren. Warum denn eigentlich nicht? Wenn man glaubt zu wissen, wie es besser geht, warum nicht?

Köck: Belehren heißt vom Katheder runter zu predigen. I don't like that. Gibt eh schon genug Männer, die einem die Welt erklären wollen.

Laucke: Andererseits sehe ich bei manchen Autor*innen schon die Gefahr einer gewissen Indifferenz. Es werden sehr viele Dinge gleichwertig behandelt, so dass eine Indifferenz der Argumente in der linksliberalen Welt gewissermaßen permanent vorhanden ist. Die Frage ist doch: Wovon reden zum Beispiel die Postmodernen? Postmoderne Philosophen und Denker verstecken sich hinter einer Sprache, die irrational funktioniert, die bestes Futter für die Rechten ist, und sie rekurrieren auch wieder auf die Eigentlichkeit, dass der eigentliche Mensch zu sich selbst kommt. In politisch angehauchten Diskursen wird jedenfalls einfach zu häufig eine Indifferenz in den Raum geschoben wird.

nachtkritik.de: Sie würden also schon sagen, dass eigentlich eine Haltung erkennbar werden sollte?

Laucke: Ich beobachte, wenn sich gewisse politisierte postmoderne Leute äußern, dass das mit Absicht schwammig ist, damit eine Hintertür offen bleibt. Man hat dann ein bisschen Kritik geäußert und das abgerufen, was man so drauf hat. So ein bisschen Derrida und Deleuze und Lacan undsoweiter. Aber dass diese Leute ziemlichen Schwachsinn erzählen, wird gar nicht mehr reflektiert. Das ist aber die Basis für viele postmoderne oder postdramatische Texte.

Köck: Aber das ist so ein alter Reflex auf das, was die Leute Postmoderne nennen. Ich weiß aber nie genau, ob die eigentlich wissen, was sie meinen, wenn sie "postmodern" sagen.

Steinbuch: Ich verstehe Dirk insofern, als dass das Benutzen der genannten philosophischen Herren etwas ist, was auch die selbst definierten neuen Rechten machen. Sie sampeln den Sprech total gut, höhlen ihn aus und benutzen ihn für ihre Positionen. Insofern ist das natürlich problematisch, wenn Autorinnen und Autoren genauso arbeiten, weil ich mich dann frage, was das kritische Element in deren Arbeit ist, wo die Abgrenzung zu den Rhetoriken, die man problematisch findet und eigentlich kritisieren möchte. Aber ich frage mich dann eben auch, ob man deswegen automatisch sagen muss: "Die ganze Form hat sich totgelaufen. Jetzt wieder Handlung und Figuren." Oder ob man nicht auch sagen kann: "Okay, die Form die mal kritisch war ist affirmativ geworden. Ich überleg, wie ich da noch drehen und schrauben kann, um woanders hin zu kommen." Das wäre eher meine Position.

Laucke: Ich denke, jeder und jede soll am besten so schreiben, wie er es am besten kann. Wenn man sich in irgendwas reinzwängt, was nicht die eigene Sache ist, ist das völliger Quark.

nachtkritik.de: Das ist aber auch ein bisschen schwammig. Angenommen es gäbe irgendwelche identitären Autoren, die Theaterstücke aufführten, würde man wahrscheinlich schon sagen: Das will ich eigentlich nicht.

Laucke: Die Frage ist halt, ob die linken Inhalte von Autorinnen und Autoren immer besser sind. Also, ob das wirklich Inhalte sind, ob die tief genug gehen. Ob man da sagen kann: Hier wird eben nicht mit Irrationalismus und Verschwörungstheorien um sich geworfen. Das kann schnell passieren. Es ist ja sehr beliebt, Amerika zu bashen. Aber man macht kein Stück über die Commerzbank oder die Deutsche Bank, aber schön Goldman & Sachs. Das sind natürlich so Dinge, da läuten deutsche Glocken.

nachtkritik.de: Vielen Dank, Gerhild Steinbuch, Thomas Köck und Dirk Laucke, für das Gespräch! Gibt es noch ein Schlusswort?

Laucke: Ja. Es gibt noch gute Waffen gegen die Rechten. Sie liegen auf der Straße.

 

Das Gespräch wurde im März 2017 von Simone Kaempf, Wolfgang Behrens und Michael Wolf geführt.

Kommentare  

#2 Theater und die Neue Rechte: mehr AufregungNanu 2017-04-30 13:22
Keiner regt sich auf über die Anmaßung unter #1?
Keiner schreibt einen weiteren Kommentar?
Keiner der drei Autore/in fühlt sich persönlich angesprochen, obwohl die Fragen direkt an sie gerichtet sind? Oder sind sie im Festivalstress und haben keine Zeit zu antworten?
Dann bitte gern, wenn der Stress vorbei ist und Sie einen generationsübergreifenden kollegialen Austausch mögen: www.drustautorin.wordpress.com
#1 Theater und die Neue Rechte: FragenD. Rust 2017-04-25 14:37
Ich hätte ergänzende Fragen zu dem Interview, weil mir Einzelheiten in den Antworten leider nicht klar geworden sind:
1. Wenn Sie meinen, Gerlind Steinbuch und Thomas Köck, dass die „Rechten“ kein Podium bekommen sollten, WEIL sie durch explizit NLP-Schulungen qualifiziert dazu sind, methodisch Begriffe zu „verdrehen“, müssten sie doch eigentlich davon ausgehen, dass Sie sich lediglich durch NLP-Schulungen ebenfalls qualifizieren bräuchten, um dann Ihrerseits die von den „Rechten“ verdrehten Begriffe ebenfalls ohne Schwierigkeit zurück-„verdrehen“ könnten ?
Wenn also lediglich eine NLP-Schulung zu unschlagbarem Argumentieren führt, wäre das ja leicht erwerbbar, gegen die Reden der „Rechten“ zu argumentieren.
2. Kann man Begriffe wirklich „verdrehen“? Ich frage das genau Sie als Dramatiker und Dramatikerin – also Schriftsteller*in, das sollte sein: Sprach-Profis – mit großem Ernst. Und zwar, weil ich beobachtet habe, dass von Menschen Ihrer Generation besonders häufig so argumentiert wird, solbald sie mit sachbezogenenen Ausführungen konfrontiert sind, die ihnen nicht gefallen: „s(S)ie drehen mir das Wort im Munde um!“. Und meine Frage an probenerfahrene Menschen, die wie Sie für Schauspieler arbeiten, ist: Geht das? Können Sie das bitte einmal als A vormachen, wie Sie einem B etwas Abstraktes in seinem konkreten Mund umdrehen?
3. Thomas Köck, wenn Sie persönlich keine Belehrungen vom Katheter her mögen, kann ich das sehr gut verstehen und respektieren. Wenn Sie jedoch sagen „Belehrung heißt (also gemeint: ist gleich) von oben vom Katheter herab“ würde ich dem nicht zustimmen wollen. Weil es mittlerweile sehr viele Lehrmethoden gibt, die eben nicht vom Katheter herab erfolgen.
Ich habe, anders als Sie, auch nicht den Eindruck, dass es schon genug Männer gebe, die einem die Welt erklären wollen. Von mir aus könnte es bedeutend mehr Männer geben, die mir wie anderen die Welt erklären wollen. Männer, die einem die Welt erklären wollen, finde ich zumindest sinnvoller beschäftigt als jene, die sie einfach nur kaputt machen wollen, weil sie vielleicht Destruktion mehr interessiert als Konstruktion und sie daher das Kaputtmachen von Dingen eher befriedigt... Vielleicht haben Sie aber auch gemeint, dass unter den welterklärungswilligen Erklärer*innen die Männer mittlerweile in einer schädlich unsinnigen Mehrheit gegenüber Frauen sind?
4. Dirk Laucke, ich habe, so denke ich - verstanden, was Sie mit politisierenden, schwammig bleibenden Äußerungen von Leuten meinen innerhalb der Neueren deutschsprachigen Dramatik und im Theaterbetrieb und pflichte diesem Eindruck, den sie da gewonnen haben in Ihrem Fachbereich auch bei, weil er sich mit meinem in etwa deckt. Meine Frage an Sie wäre aber: Welche „gewissen“ Leute meinen Sie denn? Haben die Namen? Wenn ja, warum nennen Sie sie nicht? Woher wissen Sie, dass die Schwammigkeit derer Äußerungen „Absicht“ ist? Welche konkrete Hintertür soll den „gewissen“ Leuten durch absichtliche Schwammigkeit offen bleiben? Wie sieht die aus? Was für ein Raum liegt hinter ihr? Zu welchem Gebäude gehört sie? Was steht über seinem Eingang?
5. Ich finde es ebenso wie Sie, Gerlind Steinbuch, immer und fortdauernd erforderlich zu schauen, welche Formen im Moment angebracht sind für die dringlichsten Probleme der Weltdarstellung. Die uns helfen soll, selbst und eigenständig die Welt zu (be)deuten – es geht ja nicht um Erklärung im Theaterbetrieb, sonst wäre der ja einer Schule zum Verwechseln ähnlich. Ich kann aber nicht danach schauen – auch nicht in meiner Dramatik, ob sich welche Formen totgelaufen haben. Und hernach überlegen, wie ich so an meinen Formen „drehen und schrauben“ könnte, damit ich also – unabhängig von dem Inhalt der sich über meine Fähigkeiten in eine Form drängt - eine Form fabriziere, die dann ganz eindeutig neu und lebendig sich an einem Wettlauf beteiligen kann. Was nicht „läuft“ kann sich auch nicht totlaufen. Und Sprache läuft definitiv nicht. Natürlich kenne auch ich den eher aus dem Journalismus oder der Werbung kommenden umgangssprachlichen Begriff „totlaufen“. Dann bezieht sich sein Gebrauch auf Moden, Trends oder besonders gut emotionalisierbare,
medienökonomisch „ausschlachtbare“ aktuelle Themen. Können Sie ein Beispiel nennen für eine durch Laufen am Theater zu Tode gekommene Form, damit ich Sie besser verstehen kann was Ihre Sprachform betrifft?

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