Süßes Sprach-Gift der Neuen Rechten

von Georg Kasch

Heidelberg, 2. Mai 2017. Können diese blauen Augen lügen? So groß und herzig strahlen sie unterm blonden Schopf im pausbäckigen Puppengesicht, so innig klammern sie sich ans geschredderte Aktenpapier, dass man das arme Ding in den Arm nehmen möchte. Besser nicht: Es ist der Mann vom Verfassungsschutz, der von nichts wissen will, und das mit den Akten, ja, das war ein dummes Versehen.

BeateUweUwe2 700 Dieter WuschanskiKönnen diese blauen Augen lügen? Und wie! Und sich immer wieder zum Opfer stilisieren in "Beate Uwe Uwe Selfie Klick"
als Uraufführungs-Gastspiel beim Heidelberger Stückemarkt zu sehen © Dieter Wuschanski


Die Niedlichkeit ist natürlich Methode in "Beate Uwe Uwe Selfie Klick". Denn es geht in Gerhild Steinbuchs Text, den sie im Auftrag des Chemnitzer Theaters geschrieben hat, nicht nur um das titelgebende NSU-Trio. Sondern zum Beispiel um die Frage, wie die Rechte es immer wieder schafft, sich
als Opfer zu stilisieren. Wie sie ihren Diskurs etabliert, als süßes, selbstverständliches Gift der lässigen Nachgeborenen in die Sprache tropfen lässt: "Wir nehmen uns unseren Raum zurück." Zum Beispiel am Ostseestrand, der Trio-Urlaubsidylle.

Europa bauen und verbarrikadieren

Regisseurin Laura Linnenbaum hat es gar nicht so leicht mit Steinbuchs raunenden Textflächen, die durch Versprecher und Verhaspler entlarven, wie brüchig der Firnis der demokratischen Zivilisation ist und mit indirekter Rede die heiklen Szenen umkreisen. Aus den fünf Figuren, die aus Europaletten den "Welthauptstrand Europa" bauen und zugleich verbarrikadieren, präpariert Linnenbaum allmählich eine Frau und zwei Männer heraus, die man sich als Beate, Uwe und Uwe vorstellen kann. Die anderen beiden werden zu Boten, die von Außen Zeichen und Wunden bringen. Zum Beispiel ikonografisch gewordene Kinderkleidung, triefend nass – natürlich weiß und erinnert man sofort, zu wem die Sachen gehören.

BeateUweUwe1 700 Dieter WuschanskiViele Europaletten und mittendrin fließt auch mal Rotkäppchen-Sekt in "Beate Uwe Uwe Selfie Klick"
© Dieter Wuschanski


Damals dachte man kurz, der Atem der Geschichte stockt. Heute, nur eineinhalb Jahre später, ertrinken die Flüchtenden wieder im Mittelmeer, als wäre nichts passiert. Sta
ttdessen recken bei Gerlinde Tschersich und Magda Decker die Handpuppen ihre spitzzüngigen Boulevardpressehäupter und speien nur halbverdaute Überschriften aus. Später erhebt sich eine Zschäpe-Puppe, trinkt Sekt und schweigt. Sekt, mit dem Michel Diercks und Felix Schiller als national Beseelte dem widersprechenden Tobias Eisenkrämer das Maul stopfen.

Letzte Dringlichkeiten

Man kann sich das alles gut vorstellen als engagiertes Theater im sächsischen Chemnitz, Theater, das die bekannten Informationen rund um NSU, Verfassungsschutz und neuer Rechte so fragmentiert, dass die Zuschauer was zum Puzzeln haben, aber doch so sortiert, dass auch alle die richtigen Schubladen finden. Einprägsame Bilder, die das Schwankende des Textes konkretisieren. Spuren eines Skandals, über den man sich eigentlich täglich aufregen, den man täglich weiterverfolgen müsste. In Heidelberg allerdings, wo viele Inszenierungen um das Eigene und das Fremde, um Flucht und ihre Ursachen, das Verdrängte und das Aufbrechende kreisen, fehlen Text wie Inszenierung die letzte Dringlichkeit.

Beate Uwe Uwe Selfie Klick
Textfassung von Laura Linnenbaum mit Texten von Gerhild Steinbuch und dokumentarischem Material
Uraufführungs-Gastspiel
Regie: Laura Linnenbaum, Ausstattung: Valentin Baumeister, Puppen & Objekte: Angela Baumgart, Video: Sophie Linnenbaum, Dramaturgie: René Schmidt.
Mit: Magda Decker, Gerlinde Tschersich, Michel Diercks, Tobias Eisenkrämer, Felix Schiller.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-chemnitz.de


Zum Interview mit Gerhild Steinbuch, Thomas Köck und Dirk Laucke über Theater, die neuen Rechten und aktuelle politische Verwerfungen

Zur Nachtkritik der Uraufführung am Theater Chemnitz im November 2016


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