Gefährliche Faszination

von Georg Kasch

Heidelberg, 3. Mai 2017. Was macht einen Jugendlichen zum Dschihadisten? Vielleicht Folgendes: Vater Suffkopp, Mutter abgehauen, Schule scheiße, Konto leer. Also vertickt Julian Drogen, steigt auch mal in anderer Leute Wohnungen – und landet im Knast. Hier lernt er Murat kennen und mit ihm beten. Wieder draußen, überzeugt er seine Freundin Romea von der Schönheit des Glaubens. Gemeinsam brennen sie durch: in die Arme einer Bruderschaft. Dort werden sie verheiratet, Julian und Murat aber gleich weiter zur Koranschule nach Alexandria geschickt. Auserwählte, die später im Dschihadistencamp landen. Und längst nichts mehr zu verlieren haben. 

Viel Stoff und harter Tobak, den Anna Kuschnarowa da in ihrem Roman "Djihad Paradise" zusammengetragen hat, aufgefädelt an einer berührenden Romeo- und Julia-Geschichte. Schleichend gehen die Entwicklungen vor sich, abwechselnd von Julian und Romea erzählt auf 416 Seiten. Trotz einiger Zuspitzungen und Unwahrscheinlichkeiten tragen Sprachflow und Charaktere.

Zuviele Konflikte auf engem Raum

Ronny Jakubaschks Inszenierung in der eigenen Spielfassung rückt das Geschehen weit weg vom Publikum. Auf der Bühne dreht sich ein Halbzylinder, außen golden glänzend mit dem Schriftzug "Mars", innen hohl, wie das Goldene Kalb des Westens. Bis der Kriegsgott zu seinem Recht kommt, dauert es lange. Denn Jakubaschk begeht den üblichen Roman-Adaptionsfehler, möglichst viel Handlung zu retten, und hechelt in Kürzestszenen durch das Geschehen.

DjihadParadise2 700 Anna Kolata uWo bitte gehts zum Djihad? Landkarten und falsche Bärte in Ronny Jakubaschks Adaption
von "Djihad Paradise" ©  Anna Kolata


Bis zur ersten Begegnung mit dem Islam wird erst mal die verbotene Liebe über Klassenabgründe hinweg zelebriert, dabei weiß man immer schon, wie’s gleich weitergeht in der Eskalationsdramaturgie. So viele Konflikte auf so engem Raum – da könnte man ganze Telenovelas draus stricken! Auf der Strecke bleibt die Glaubwürdigkeit der Figuren. Auch bei den Schauspielern des Thalia Theaters Halle, die blitzschnell Kostüme und Rollen wechseln, aber selten Gelegenheit bekommen, so etwas wie Charakter zu entwickeln. Romeas Eltern zum Beispiel: bürgerliche Arschlöcher. Die Lehrer: Parolen-Schleudern. Der Dealer-Boss: eine großmäulige Flitzpiepe. Noch schlimmer wird es, wenn sie sich als Salafisten Bärte ankleben und Akzente rollen. Zumal ihre Motivationen Behauptungen bleiben: Die Magie des Glaubens, des Gebets? Löst sich nicht einmal in der Choreografie der rituellen Waschung ein.

Magie des Glaubens

Nichts wird vertieft, über alles hinweggebrettert, nur die Liebesgeschichte berührt bei Paul Simon und Marie Scharf. Begriffe wie Allah, Kuffar und Dschihad bleiben völlig abstrakt. Dass nicht nur die bösen Radikalmuslime, sondern auch alle anderen wandelnde Klischees sind, macht die Sache nicht besser. Als gläubiger Muslim würde ich mich von dieser Inszenierung verarscht fühlen. Als Nicht-Muslim übrigens auch.

Derzeit gibt es viele gescheiterte Versuche, auf der Bühne von der gefährlichen Faszination des Dschihad zu erzählen: Nuran David Calis "Kuffar", Yüksel Yolcus "Inside IS" nach Jürgen Todenhöfer, letztlich auch Sasha Marianna Salzmanns "Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten (Zucken)". Vielleicht sind zwei Stunden einfach zu kurz, um all die möglichen Beweggründe und kleinen Entwicklungsschritte nachvollziehbar zu skizzieren. Vielleicht aber müsste man auch erst die mögliche Kraft des Glaubens (Essay von Dirk Pilz) begreifen, bevor man etwas von Radikalisierung sagen kann. 

Djihad Paradise
von Anna Kuschnarowa, Fassung von Ronny Jakubaschk
Uraufführungs-Gastspiel, nominiert für den JugendStückePreis
Regie: Ronny Jakubaschk, Bühne und Kostüme: Annegret Riediger, Musik: Bastian Bandt, Dramaturgie: Sophie Scherer. Mit: Karl-Fred Müller, Max Radestock, Marie Scharf, Frank Schilcher, Paul Simon, Florian Stauch, Lena Zipp.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.buehnen-halle.de

 

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