Zur Nachahmung empfohlen

von Simone Kaempf und Michael Wolf

Heidelberg, 8. Mai 2017. "Ein unfertiges Kunstwerk, das nach der Bühne schreit", nennt der Dramatiker und Juror David Gieselmann das Gewinnerstück des internationalen Autorenpreises. Und eben dieser Schrei wurde schon vor der Preisverleihung erhört. Denn bereits gleich nach der Lesung kündigte Gastland-Scout Pavlo Arie an, er, der das Stück bereits kannte und für den Wettbewerb ausgewählt hatte, wolle Olga Mazjupas "Öko-Ballade" am Theater Lemberg inszenieren, das er seit 2016 künstlerisch leitet. Lesung und Diskussion mit der klugen wie sympathischen Autorin wirkten ungemein überzeugend. Ein Sieg auf ganzer Linie also für Mazjupa.

Olga Mazjupa 280 Annemone TaakeOlga Mazjupa © Annemone TaakeUnd im Unterschied zu den meisten zeitgenössischen Stücken spielt "Öko-Ballade" nicht in der Großstadt, sondern in den ukrainischen Karpaten, fernab des urbanen Fortschritts. Mykola sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl und wartet. Er wartet darauf, einen Souvenirladen eröffnen zu können. Er wartet auf seinen Freund Stepan, der in den Bürgerkrieg gezogen ist. Und er hofft, einmal Stepans Schwester heiraten zu können. "Das Stück erzählt von Korruption, vom Krieg und von der Liebe in einem Setting, in dem die ukrainische Vergangenheit mit ihren Mythen, ihrer Religiosität und ihrem Aberglauben noch lebendig ist, aber schon schmerzlich auf die Phänomene unserer westlichen, kapitalistischen Gegenwart stößt", heißt es weiter in der Begründung. Der Preis ist verdient, aber keine einfache Entscheidung, war das Konkurrenzfeld doch denkbar dicht. Mit "Lora" konkurrierte noch ein zweites Stück um den Preis, an das deutsche Theater nahtlos andocken könnten. Um Spielbarkeit geht es schließlich auch bei dem Preis, darum, sich einen Text auf der Bühne vorstellen zu können und fürs Publikum transportierbar zu machen.

JugendStückePreis

Der Gruppe pulk fiktion – Gewinner des mit 6.000 Euro dotierten JugendStückePreises – ist genau das mit einem existenziellen Thema gelungen: Kinderarmut. Eine gute Wahl der Jugendjury aus Heidelberger Schülern. Der Wettbewerb um das beste Jugendstück war in diesem Jahr besonders interessant, weil den drei nominierten Arbeiten sehr unterschiedliche Ästhetiken zu Grunde lagen. Pulk fiktons "All about nothing" als dokumentarisch arbeitende Performance, das Klassenzimmerstück "Der Goldene Ronny" von Daniel Ratthei und Ronny Jakubaschks aufwendig inszenierte Adaption des Romans "Djihad Paradise" von Anna Kuschnarowa konkurrierten um die Auszeichnung. Die letztgenannte Arbeit fiel im Vergleich stark ab. Zu holzschnittartig und klischiert geht Jakubaschk sein Thema an: Ein netter Jugendlicher lernt den Islam kennen, radikalisiert sich und sprengt sich schließlich in die Luft. Mag sein, dass es solche Fälle schon gegeben hat. Wie Religion und Glaube hier im Stile einer Drogenlaufbahn inszeniert werden, ist dennoch schlicht ärgerlich. Wer einmal betet, endet unweigerlich in Burka oder Sprengstoffgürtel. Das scheint die Message zu sein.

"Der Goldene Ronny" von Daniel Ratthei hingegen erwies sich als starke Verhandlung einer Katastrophe namens Pubertät. Traurigkeit und Humor finden ausgewogen ihren Platz in diesem Zwei-Personen-Stück über erste Liebe, Mobbing und sozialen Druck. Auch "Der goldene Ronny" hätte den Preis verdient. Aber sei's drum. Nora Bussenius lebhafte Inszenierung am Schleswig Holsteinischen Landestheater lässt vermuten, dass diesem Text auch ohne Auszeichnung ein langer Weg durch die Klassenzimmer bevorsteht.

Die prämierte Gruppe pulk fiktion wählt interessanterweise nicht die Fiktion, sondern Recherchematerial als Ausgangspunkt ihrer Inszenierung. Gerade das scheint die Jury überzeugt zu haben: "Durch den Einsatz von O-Tönen befragter Kinder und Jugendlicher wurde die Handlung realitätsnah und deutlich", heißt es in ihrer Begründung. Mit den erwähnten Aufnahmen von Interviews mit Jugendlichen und Erziehern, mit Gesang, Zeichnungen und in Choreographien umkreisen pulk fiktion assoziativ, aber nie beliebig das Thema Kinderarmut. Offen, teils improvisierend und stets dem Publikum zugewandt, präsentieren sie ihre Rechercheergebnisse, ohne sich anzubiedern. In dieser offenen und zugewandten Spielart liegt eine Menge Potenzial.

NachSpielPreis

Ziel des NachSpielPreises ist eine langfristige Förderung. Viele Stücke werden nach der Uraufführung vergessen. So erging es auch dem Gewinnerstück: Benjamin Lauterbachs "Der Chinese" wurde bereits 2012 in Darmstadt uraufgeführt und bis zu Max Merkers Wiederbelebung am Theater und Orchester Biel Solothurn lediglich an Privattheatern inszeniert. Dabei bietet insbesondere das erste Drittel des Texts ein Pointen-Feuerwerk, das sich auch auf größeren Bühnen sehen lassen kann. "Benjamin Lauterbachs Stück erzählt davon, wie leicht ein totalitäres System ins Wanken geraten kann. Ein kathartisches Stück also – und eines, das in diesen Zeiten aktueller denn je ist. Das hat die Inszenierung sehr klug, witzig und sinnlich gezeigt", begründet Allein-Jurorin Mounia Meiborg ihre Wahl. Verbunden mit der Auszeichnung ist ein Gastspiel bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin. Für die Meiborg mag die Belastbarkeit der Texte durch unterschiedliche Regie-Zugriffe ausschlaggebend gewesen sein. Das zeigt sich im Vergleich mit den Konkurrenten: "Small Town Boy" von Falk Richter und "Der Herzerlfresser" von Ferdinand Schmalz.

Alexander Wiegold inszeniert Schmalz' enorm sprachwitziges Stück "Der Herzerlfresser" kontraintuitiv in einer melancholischem Grundstimmung. Häufig zielen Regisseure bei dem österreichischen Autor eher auf die Pointen und ziehen das Tempo an. Wiegold hingegen verschleppt mit dem Burgtheater-Ensemble das Tempo und fordert das Stück heraus. "Der Herzerlfresser" hält dem Druck über weite Strecken stand, erweist sich aber am Ende nicht als das beste Stück des Autors.

Mit "Small Town Boy" entwickelte Falk Richter eine Textfläche zum Thema Homophobie zusammen mit dem Ensemble des Gorki Theaters Berlin. Auch die Biographien der Beteiligten und ihre politische Ansichten flossen in den Text ein. Der Karlsruher Neuinszenierung von Atif Mohammed Nour Hussein gelingt es nur punktuell, aus diesem Spannungsfeld zwischen authentischem Sprechen und Figurenbildung Kapital zu schlagen. Dass das Nachspielen dieser Stückentwicklung Sinn ergibt, beweist der Karlsruher Abend jedenfalls nicht.

Anders bei Benjamin Lauterbachs "Der Chinese". Ursprünglich in einem Deutschland in naher Zukunft spielend, verlagert Regisseur Max Merker das Stück um eine hochzufriedene und selbstgerechte Gesellschaft in die Schweiz. Ohne die Eidgenossen beleidigen zu wollen, sei festgestellt: Der Text ist jenseits der Alpen ausgezeichnet aufgehoben. Die Bearbeitung beweist so, dass er auch starke inszenatorische Eingriffe verträgt. Nun sind wir gespannt auf Nachahmer. "Der Chinese" macht sicher auch in Friesland, Oberbayern oder Kärnten eine gute Figur.

 

Mehr zum Autorenpreis an Maryam Zaree in einem Resümee von Wolfgang Behrens.
 

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